Was sind Künstlerbücher

Zum Thema Künstlerbücher

Seit dem En­de der sech­zi­ger Jah­re sind in Eu­ro­pa und Ame­ri­ka in Ga­le­rien und Aus­stel­lun­gen, sel­te­ner in Buch­hand­lun­gen, in wach­sen­dem Ma­ße Ar­bei­ten zu se­hen, die in der Mehr­zahl als Kunst­ge­gen­stän­de und nicht als Wer­ke der Schrift­kul­tur oder des In­for­ma­ti­ons­sek­tors vor­ge­stellt wer­den, ob­wohl ih­re un­ter­schied­li­chen Be­zeich­nun­gen in ir­gend­ei­ner Wei­se stets mit dem Na­men “Buch” ge­bil­det wer­den. Die Buch­ob­jek­te, Künst­ler­bü­cher, Ob­jekt­bü­cher, ar­tists’ books, book ob­jects, li­v­res d’ar­tis­te las­sen durch­aus ei­ne Ver­wandt­schaft mit her­kömm­li­chen Bü­chern er­ken­nen, an de­ren Her­stel­lung eben­falls bil­den­de Künst­ler be­tei­ligt wa­ren, aber der un­vor­be­rei­te­te Be­trach­ter er­kennt sie in der Re­gel doch nicht als sol­che an, weil er zu­gleich mas­si­ve Merk­ma­le an ih­nen wahr­nimmt, die dem tra­di­tio­nel­len Buch gänz­lich fremd sind. Die­se be­frem­den­den Merk­ma­le sind nicht nur be­son­ders auf­fäl­lig, son­dern be­stim­men in ih­rer Viel­ge­stal­tig­keit auch vor­ran­gig Ge­stalt und Ty­pik der neu­en Buch­ge­bil­de. Nicht sel­ten sind aus gänz­lich buch­frem­den Stof­fen wie Be­ton, Stein, Me­tall oder Glas “Bü­cher” ge­bil­det wor­den, die man nur in sel­tens­ten Fäl­len öff­nen kann und die dann das An­se­hen von Skulp­tu­ren ha­ben kön­nen. Zei­tungs­pho­tos, bun­te Ma­ga­zin­bil­der als Col­la­ge­ma­te­ri­al, Nop­pen­gum­mi, Sand­pa­pier, Plas­tik­fo­li­en, In­dus­trie­ab­fäl­le, Stahl- und Alu­mi­ni­um­ble­che, Xe­ro­ko­pien wur­den ver­wen­det, zum Teil ge­sell­schaft­lich sub­ver­siv, be­tont läs­sig-un­kon­ven­tio­nell in Sprach­stil wie tech­ni­scher Aus­füh­rung. Ein be­son­de­rer Be­reich neu­er “Buch­for­men” und ge­druck­ter Kom­mu­ni­ka­ti­on er­gab sich im Zu­sam­men­hang der Flu­xus-Be­we­gung, aus­ge­hend von Ge­or­ge Brecht und Maciu­nas. Hier ent­stan­den bei al­ler schein­ba­ren for­ma­len Sorg­lo­sig­keit und dem be­wuß­ten Ein­satz meist ein­fachs­ter Ma­te­ria­li­en wie et­wa ge­stanz­te Loch­kar­ten, Pack­pa­pier, Zei­tungs­sei­ten, tri­via­len Post­kar­ten u.s.w. in­tel­lek­tu­ell eben­so an­spruchs­vol­le wie an­re­gen­de Kom­ple­xe, die im wei­tes­ten Sin­ne der Buch­kunst zu­zu­rech­nen sind.

Die USA, mit ei­ner ver­gleichs­wei­se gro­ßen Zahl an Aus­stel­lun­gen und ei­nem leb­haf­ten Markt von ar­tists’ books und book ob­jects, ge­wan­nen an Do­mi­nanz, aber auch Deutsch­land hat nun die Re­tar­die­rung durch Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und Nach­kriegs­not über­wun­den und zeigt mit ei­ner neu­en Künst­ler­ge­nera­ti­on wie­der ei­ge­nes Pro­fil. Viel stär­ker als die meis­ten vor­an­ge­gan­ge­nen Bü­cher sind die Künst­ler­bü­cher nach 1960 aus ei­nem Kon­zept her­aus ent­wi­ckelt, das ent­we­der ein rein ge­stal­te­ri­sches ist, oder es ent­steht ein en­ger, aus in­ne­rer Not­wen­dig­keit her­aus ge­speis­ter Dia­log zwi­schen dem Au­tor und dem Künst­ler bei der Ent­wick­lung der Buch­idee. Es ist da­her nicht über­ra­schend, daß in den letz­ten Jah­ren die zeit­ge­nös­si­schen Au­toren die star­ke Auf­merk­sam­keit der Buch­künst­ler ge­fun­den ha­ben. Daß die ge­gen­wär­ti­ge Buch­kunst so­viel an ge­gen­wär­ti­gen Tex­ten bie­tet, ist si­cher ei­ner ih­rer be­son­de­ren Vor­zü­ge und An­zie­hungs­punk­te. Es ist des­halb auch si­cher kein Zu­fall, daß bei nicht we­ni­gen die­ser Künst­ler­bü­cher der Ma­ler oder Bild­hau­er selbst die Tex­te schreibt oder zu­min­dest zu­sam­men­stellt, Vor­läu­fer in Deutsch­land wa­ren Ko­kosch­ka und Bar­lach. For­ma­le und künst­le­ri­sche Ge­stal­tung ei­ner­seits und der Text an­de­rer­seits er­rei­chen da­mit ei­ne neue Stu­fe in­ten­si­ver In­ter­ak­ti­on. Am En­de des Jahr­hun­derts kann man si­cher zu Recht sa­gen, daß sich in ste­ti­ger Fort­ent­wick­lung ei­ne Viel­fäl­tig­keit künst­le­ri­scher Aus­drucks­for­men im Buch ent­wi­ckelt hat, wie sie es nie zu­vor gab. Das Buch ist, wie Plas­tik, Ma­le­rei, Gra­phik etc. zu ei­ner ei­gen­stän­di­gen, künst­le­ri­schen Aus­drucks­form ge­wor­den. Die Ent­wick­lung ist noch in vol­lem Gan­ge, und die jetzt wirk­sa­men Ten­den­zen und Prin­zi­pi­en wer­den mit Si­cher­heit weit ins 21. Jahr­hun­dert hin­ein wirk­sam bleiben.

Die sech­zi­ger und sieb­zi­ger Jah­re stell­ten für vie­le Künst­ler ei­ne Zeit des Ex­pe­ri­men­tie­rens mit neu­en For­men der Selbst­ver­mark­tung dar. Die Form der Pro­du­zen­ten­ga­le­rie und das Selbst­ver­le­gen von Bü­chern und Zeit­schrif­ten wa­ren we­sent­li­cher Be­stand­teil der neu­en Stra­te­gien. Die Ver­füg­bar­keit schnel­ler, un­kom­pli­zier­ter und preis­güns­ti­ger Pro­duk­ti­ons­me­tho­den hat die Künst­ler er­mu­tigt, ein­ge­fah­re­ne We­ge der Kom­mu­ni­ka­ti­on auf­zu­bre­chen und in­ter­na­tio­na­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Dis­tri­bu­ti­ons­netz­te aufzubauen.

(Aus: Bü­cher­lust. Buch­kunst und Bü­cher­lu­xus im 20.Jahrhundert. Bei­spie­le aus ei­ner Stutt­gar­ter Samm­lung, aus­ge­wählt und kom­men­tiert von Wulf D. von Lu­ci­us, Stgt. 1998, SS. 73–77; Künst­ler­bü­cher Ar­tists’ Books Book as Art. Aus­stel­lung Do­ku­men­ta­ti­on Ka­ta­lo­ge Kri­ti­ken. Ei­ne Ana­ly­se von Ar­tur Brall. Ffm. 1986, SS. 3–6).

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