Ein australisches Privatarchiv für das Druckereiwesen
Background und Sammlung – Brandywine Archive
Das Ganze war ein Zufall. Ich wurde Bibliothekar (hier weder ein gut bezahlter noch geschätzter Beruf). Mehr aus Liebe an die IDEE einer Bibliothek und Universität. Die Wirklichkeit sieht ja ziemlich anders aus. Die Universitätsbibliothek hatte damals eine bibliographische Presse und der Hauptbibliothekar lud mich ein, mitzumachen. Er war sehr eine Ausnahme. Auch war das damals.
Ich wollte eigentlich selbst eine Privatpresse und habe auch einige Jahre selbst gedruckt. Pressen usw. habe ich noch. (Wenn Dir das interessieren sollte, kann ich einiges das nächste Mal mitbringen). Natürlich kein Geld. Heirat, kleine Kinder, altes Haus wo alles selbstgemacht werden muss, Bankzinsen von 18%+, shit job, auch ganz unten auf der Leiter (wo ich mehr oder weniger blieb). Also musste ich alles zusammensuchen aus der Industrie. Was ich dort sah hat mich schockiert. Auch heute noch. Die konnten alte Pressen, Geschichte, usw., nicht schnell genug verschrotten. Gute Freunde von mir – zwei alte Drucker die als Privatpressendrucker anfingen! – hatten einfach eine eiserne alte Handpresse des 19. Jhdts. zerschlagen und verschrottet, weil sie den Stein brauchten. Und die waren die Guten.
Nicht anders mit Gedrucktem. Was nicht mehr aktuell und einen Dollar brachte, raus damit ins Altpapier. Also, unsere Geschichte wurde vor meinen Augen täglich vernichtet. Die Bibliotheken waren damals (aber nur im Schein) anders. Es wurde damals intensiv gesammelt um 50 Jahre Vernachlässigung wiedergutzumachen. Riesen Sammlungen wurden teuer erworben. Später landeten viele von denen auch auf den Papiermüllhaufen! Ich war damals jung und etwas naiv. Sonst hätte ich gemerkt / gedacht, was gekauft wurde und von wem. Es waren oft Bekannte vom Management – oft auch hochbezahlte Bibliothekare – die Büchersammlungen zusammenstellten, um sie dann an ihre Kumpels weiterzuverkaufen. Natürlich alles für gutes Geld.
Ich hatte Interesse an Buch- und Druckgeschichte. Fing an zu recherchieren. Und merkte rasch, es waren viele verlegte Bücher vorhanden aber die Tausende von Nichtbücher aus der graphischen Industrie fehlten. Erst dachte ich, ich habe da so einen Heureka-Moment. Ich habe ‘was Großes herausgefunden. In Wirklichkeit, keiner wollte das wissen. Ich merkte, ich bekam viele Bücher, die nicht in unsere Nationalbibliographie vermerkt waren. Ich besuchte unsere Nationalbibliothek und redete dort mit der Bibliothekarin, die dafür verantwortlich war. Ein hohes Tier. Ich wollte nur rausfinden, wie es lang geht und wieso. Und merkte bald, unser Gespräch wurde immer mehr frostig. Woran ich nicht gedacht habe, jede Frage zeigte, wie wenig die Nationalbibliothek eigentlich tat. Auch sind unsere StaBis nicht anders. Alle vermarkten sich – und haben auch offiziell die Verantwortung – das Leben, die Kultur usw. des Landes bzw. des Staates zu dokumentieren. Als ihre erste Aufgabe. Und taten es offensichtlich nicht. Und hier kommt dieser Nichts an und sag uns, was wir zu tun haben.
Also, ich dachte eine gute Tat für einen jungen Bibliothekar. Ich fange an, die Sachen zu sammeln und dann, nach einer Weile… Ich hatte nie die Absicht, mein ganzen Leben damit zu befassen. Die ganze Zeit – 40+ Jahren – und so viel Geld. Ich dachte, mach mal das für 5 Jahren, dann kannst Du es an eine Bibliothek weitergeben (wie in verschenken). Die sammeln ja alle solche Sondersammlungen. Ich kannte bislang alle rare books / special collections Bibliothekare. Die aber auch fern von der Spitze – wie ich – waren. Nach 5 Jahre, nichts. Nach zehn Jahren, nicht. Die Sammlung wuchs und wuchs. Ich merkte einiges zu spät. Die Politik dieses Beamtentums. Auch dass mein erwähltes Gebiet ein Nichts sei (a non-subject). Die Bibliotheken interessierten sich für Gutenberg und Frühdrucke (trophy collecting). Die technischen Hochschule für das Praktische. Und die Geschichte von Print des 20. Jahrhundert zu dokumentiere fiel irgendwo dazwischen. Zu schwierig. Bibliotheken sind nicht an Bücher interessiert, sondern an Texten. Was Menschen lesen wollen. (Was ich jetzt als The curse of the reader bezeichne).
Druck war schon immer eine revolutionäre Erfindung. Gutenberg ist nicht Bleisatz, dann konnte man Bücher im Shop kaufen. Es veränderte nicht nur wie und was man haben konnte sondern was es bedeutet, Mensch zu sein. Wir sind heute in einer ähnliche Zeit. Aufbruch von einer Epoche zur anderen und, merkwürdig, keiner ist interessiert das zu dokumentieren, d.h. in Sachen Print. Vielleicht war Luther sogar mehr maßgebend mit seinen Ansichten als Gutenberg?! Also, das 20. Jahrhundert war auch das revolutionärste. Ganz kurzgefasst, die Menschen brauchten immer mehr Gedrucktes als die traditionelle Industrie hat liefern können. Druck war Luxus. Also, immer mehr und neue Wege. z.B. Kleinoffset (small offset). Jedermann sein eigener Drucker. Und sehr vieles konnte jetzt im Büro oder zu Hause gedruckt und verlegt werden. Hat man einen Computer, ist man Drucker und Verleger! Eine Flut von “graue Literatur” – aber eigentlich nicht wirklich graue Literatur sondern von Nichtbüchern.
Was geschah ist folgendes. Es gab früher Bücher und vielleicht ein bisschen anderes. Im 20. Jahrhundert gab es immer mehr Bücher aber durch diese technologische Innovationen – dann Photokopiermaschinen, heute Computer und Laserdrucker – wurden immer mehr und mehr Bücher als Nichtbücher herausgebracht. Später waren diese Nichtbücher vielleicht sogar die Mehrheit. Einiges wurde schon gesammelt. Wir in der UB hatten z.B. einen hochbezahlten Bibliothekar der angestellt war, nur um die Graue Literatur vom Staat und Behörden zu sammeln. Weil diese Texte wichtig waren. Aber Print?! Ich war 10 Jahre lang Pflichtexemplarsbibliothekar. Nicht einmal die StaBi oder die Nationalbibliothek hat jemals richtig, wie bei anderen Gebieten, Print gesammelt. Viel ist mir gesagt worden… “Ja, die müssen auch Pflichtexemplare liefern”. Aber wenn die Pflichtexamplarsbibliotheken nichts davon wissen wollen. Und sogar die Nichtverleger abweisen? Was ich damit meine ist, Bibliotheken sammeln die Nichtbücher nicht wie sie die Bücher sammeln. Warum ich das alles als Shadowland (Schattenland) bezeichne.
Also, Brandywine fing an als eine Handbibliothek für meine Privatpresse. Dann begann ich, die normalen lesbaren Bücher (reading books) zu sammeln. Standardwerke. Aber immer mit einem Auge darauf, dass die Geschichte von Print nur aus dem Gedruckten (den Nichtbüchern) der Industrie geschrieben werden kann. Ich interessierte mich immer mehr dafür bis ich heute mehr oder weniger darauf konzentriere. Obwohl ich viele Bücher bekomme und kaufe, die Normalbücher sind. Aber meine Liebe ist die graue Literatur und Ephemera.
Brandywine. Schon seit den ersten Tage habe ich es ein Archiv genannt. Damit Leute es je nicht mit einer Bibliothek verwechseln. Es ist eine Sondersammlung (special collection) und soll als ein Ganzes in die rare books / special collections Abteilung eine großen wissenschaftlichen Bibliothek irgendwann eingegliedert werden. Hoffentlich Australien, aber wenn es Finnland oder Österreich sein muss… Ist mir auch recht. Solange der Sinn der Sache erhalten bleibt.
Noch was wichtiges. Die Idee war nie, Höhepunkte zu sammeln. Also nicht die feinsten Bücher, sondern Alltagsgeschichte. Was ja auch für die Bibliotheken ein Minus ist. Die wollen alle ein Blatt aus einem mittelalterlichen Stundenbuch. Nicht diesen Alltagskram.
Alle Fotografien von Jürgen Wegner
Brandywine existiert in zwei Teilen.
Alles über Buch und Druck. Von Gutenberg aus, auch von Korea und China. Alles von A (artists’ books) bis Z (zines). Natürlich ist soetwas kaum möglich. Deswegen sollte es ja schon vor 30 Jahren zu einer großen research library. Welche das Gebiet auch nicht ganz erfassen könne. Nur Druck, Papier, Schriftenherstellung sind aber hunderttausende von Titel! Aber wenigstens einen Anfang. Sammeln für mich ist mehr: was ist mir möglich, was kann ich tun – heute tun. Zeit und Geld begrenzt. Also mein Fokus ist in erster Linie Druck, Papier, Druckschriften (auch Typographie). Weniger den Rest – Buchhandel, Verlagswesen, Zeitungen, Bibliophilie, Exlibris, usw. Und Bibliotheken und Bibliothekswesen und Manuskripte überhaupt nicht (außer Firmenarchive, von denen ich auch ein Paar habe). Eine Ausnahme: Printed ephemera, Bücher über welches ich immer kaufe, wenn sie mir durch die Hände laufen. Teil I ist mehr oder weniger eine Bibliothek innerhalb eines Archivs. Es gibt aber Sondergebiete, die ich besonders sammele. Es sind sozusagen Sondersammlungen innerhalb einer Bibliothek innerhalb eines Archivs, im Effekt:
· Druckerhandbücher (besonders über Druck, Papier, Schrift, z.B. Das Schriftzeterhandwerk, Der Offsetdruck 6. Aufl.)
· Printed ephemera über alles mit Thema Print, A bis Z
· Jubiläumsschriften der ganzen grafischen Industrien (auch Verlage, Zeitungen, Buchhandlungen, usw.)
· Schriftmusterbücher aller Art – Auch Hefte und Plakate. Idee anders wie bei den anderen. Mich interessiert die Geographie der Schrift, also ein Schriftmusterbuch aus Finnland von einem Offsetdrucker ist mir so lieb wie eines von einer deutschen Schriftgießerei.
· Papiermusterbücher, Hefte, kits
· Maschinenkataloge, z.B. Hefte über eine Heidelberg Speedmaster.
· Maschinenteilkataloge. Parts books. Wie man eine Druckpresse auseinandernimmt.
· Alle graue Literatur: von Preislisten bis zu Druckmessenkataloge
· Die Fahrenheit 451 Sammlung. Eigentlich nur des Themas wegen – Bücherverbrennung. Im Vergleich zu was ich selbst erlebt habe, waren die Nazis Amateure! (Bild anbei). Leider das Merkwürdige an der Sache ist, die Graphik der Bücher ist bestens immer nur mittelmäßig
· Auch eine Sammlung Printing in fiction. Warum gibt es so wenig Romane, die von der graphischen Industrie handeln? Neuerwerbung: Das Geheimnis der Papiermacherin (Roman vom 30jährigen Krieg).
· Besonders fremdsprachige Bücher usw. weil diese hier fast nie gekauft werden. Ich habe hier, z.B., eine Sammlung von ca. 600 Titel über Buchwesen in russischer Schrift. Die Idee war auch Bücher, die nicht in Australien vorhanden waren, hierher zu schaffen
Alles von Gutenberg auf – das älteste Druckerhandbuch hier ist von 1743 – aber mit Vorliebe das 20. Jahrhundert und besonders ab 1945. Obwohl “meine” Lieblingsepoche die zwischen den Weltkriegen ist, aber wer findet schon was aus dieser Zeit!
Teil II: An Archive of specimens of printing
Na, wenn man ein Archiv aufbaut, um eine Zeit zu dokumentieren, dann gehören auch Beispiele von Gedrucktem dazu. Aber immer mit der Idee, den Alltag – das Leben – von Print zu dokumentieren. Also, anstatt einen Kelmscott Chaucer (den hat ja jeder!) zu sammeln, sammele ich die ganze Vielfalt – die Buntheit – vom Gedrucktem. Z.B. was vielleicht Groschenromane zu nennen sind. Deutsche – Romane wie die Feldpostausgaben, australische pulp fiction, hard boiled crime usw., diese italienische yellowbacks. Sogar Manga aus Japan und Korea. Alt und neu. Einen Armvoll französischer Zeitschriften mit Nacktphotographie – für den Amateurphotographen gedacht aber eigentlich die Pornos von damals. Ein hardcover Telefonbuch von den 20er. Aber auch eine komplette Sammlung aller Olympischen Spiele, Sydney 2000 Bahnfahrpläne. Usw. Usw.
· Darunter auch eine große Sammlung Privatpressendrucke… Aber um die Vielfalt zu zeigen. Nicht Raritäten. Eine kleine Sonntagsdruckerei ist mir lieber wie diese großen bibliophilen Bücher. Sampling.
· Ein paar Sammlungen der Bücher einiger Verlage und Druckereien, besonders die meiner zwei Freunde, die mir auch Autorenmanuskripte und Archivalien schenkten.
· Eins der Sammlungen ist, was ich noch finden konnte von einer erst kommunistischen dann sozialistischen australischen Buchgesellschaft. Die Titel sind sehr unauffindbar, da sie kaum Geld wert sind.
· Eine große Sammlung politische pamphlets aller Art – Kommunismus, Sozialismus, Anarchismus, Umwelt, Frauenbewegung – was ich seit dem Vietnamkrieg sammele. Nicht so sehr aus politischer Überzeugung sondern wegen den fabelhaften graphic design. Was ich vernacular typography nenne. Sogar aus der DDR – unglaublich schöne Entwurfe.
· Dazu gehört auch eine Sammlung von Zettel und Plakate (10,000+ ??) über die Linke und Proteste usw.
· Fast vergessen. Ich habe schon immer – schon vor Brandywine – eine große Liebe für pamphlets gehabt. Und sammele die schon immer leidenschaftlich. Alte, moderne. Über alle Themen solange sie interessant entworfen sind und etwas zur Zeitgeschichte beitragen. Auch sind es Beispiele des Werke von Drucker und Verlagen. Alle zusammen – zusammen mit Print pamphlets und pamphlets der Linke – mehr als 25,000 Titel pamphlets!
Zuletzt, die Öffentlichkeit. Unsere beiden Archive (Anm.Das Brandywine Archive und das AAP Archive Artist Publications) haben vieles ähnlich aber sind auch sehr anders – und nicht nur des Themas wegen. Ich weiß nicht wie Du deines finanzierst, aber es ist so ungefähr beruflich (Anm. rein privat als Kunstlehrer). Meins habe ich immer nur so nebenbei betreiben können. Wem interessiert schon dieses Thema überhaupt, besonders hier in Australien. Also, alles in der Freizeit und aus eigener Tasche. Schon damals verschwanden die Nichtbücher Tag für Tag. Morgen, nächste Woche, nächstes Jahr geht nicht. Die sind dann alle weg. Also, ich musste mich auf das wesentliche konzentrieren. Sammeln, heute, jetzt. Und dann noch Familie, altes Haus, vieles andersberufliche zu tun. Auch ist das Problem, ich fing das alles an, lang vor der Zeit wo die Menschen selbst Computer hatten. Also, es ist unmöglich das alles von Papier ins Elektronische zu verwandeln. Webseite usw. Auch schön und gut. Aber ich habe bis jetzt nie die Zeit gehabt, auch das wesentliche “normale” alles zu schaffen – sammeln. Und noch diese Arbeit dazu zu tun? Publicity ist schön aber wenn es sich um ein Gebiet handelt, welches niemand sowieso interessiert?? Wo nicht mal die Großen das Minimum haben?
Jürgen Wegner, Sydney, Australien
6. Januar, 2019
ps: Jürgen Wegner gibt den The Shadowland Newsletter heraus, kommt ursprünglich aus Deutschland, lebt aber schon sehr lange in Australien.
Jürgen hat das AAP im November 2018 zum zweiten mal besucht und danach einen langen Beitrag in seinem newsletter Nr. 93 geschrieben.