documenta fifteen: 18.06. – 25.09.2022
Wo Werte Kunst hervorbringen, sind Worte überall.
Die diesjährige documenta fifteen hat die kuratorische Verantwortung in die Hände des in Indonesien ansässigen Kollektivs ruangrupa gelegt. Als die ersten Fäden für das Documenta-15-Festival zusammengeführt wurden, herrschten Reisebeschränkungen und Distanzregeln aufgrund einer pandemischen Gefahrenlage: aber die kollektive, die unter der kuratorischen sozusagen Nichtanleitung der künstlerischen Gemeinschaft ruangrupa in Aktion treten, wuchsen oft in Nischen heran, sind unter dem Zwang der Improvisation gewohnt handlungsfähig und imstande – auf welchem Weg auch immer – ihre Sichtbarkeit zu realisieren.
Sie alle trafen sich online, lange bevor das Eröffnungsdatum des 18. Juni 2022 in den Kalendern stand: Es entstand Gekritzeltes, Gesprühtes, Gefaltetes, Geklebtes, Gezeichnetes – und der diesjährige Medienpartner „Asphalt“ zeigt das: Ausschnitte aus dem Archiv eines globalen kollaborativen Tuns. “Asphalt” – das niedersächsische Pendant, könnte man sagen, zur Münchner Zeitschrift “Biss” – die eines der wertvollsten Kollektive darstellen: einer für alle – alle für einen. Im besten Fall.
AAP – eine der größten privaten Sammlungen im Bereich Künstlerbuch/-publikation – hat die monatlich erscheinenden Hefte der in Hannover ansässigen Publikation ab der Ausgabe 10/2021 erworben und vorliegen. Oktober 2021: das war der Startmonat der exklusiven Documenta-15-Berichterstattung in dem sozialen Magazin, das in Kassel, Göttingen und Hannover in den Straßen zu kaufen ist. Auf mehreren Seiten dokumentiert „Asphalt“ Teile des Prozesses von den im Vorfeld stattfindenden weltweiten Majelis: zeigt Abbilder des temporären Schaffens und erklärt eine damit verbundene Wortwelt.
Denn durch die documenta 15 sind nun indonesische Begriffe in den Sprachschatz kunstinteressierter gerückt: Lumbung, ruangrupa, ruru, nongkrong, majelis, …
Allen gemeinsam ist, dass sie das Kollektivistische widerspiegeln, das Teilen, das Zusammenrücken, das sichtbare Verlangen nach einem freiheitlicherem Handlungsspielraum als jener, der in z. B. autoritären Systemen möglich ist.
Die Kunst der Kollektive ist nie nur Werk. Es ist Haltung, darin das TUN. Politisch aktive Kollektive werden Vorwürfe hören, Fingerzeige auf etwas, das der Vision von der Gleichberechtigung in der Kunst vermeintlich zuwiderläuft. Doch auch hier tritt eine Hierarchie zutage: Wer darf auf welches – immer vielseitige – Unrecht überhaupt aufmerksam machen? Wann wird ersichtlich, dass die Mentalität aus der Kritiker*innen kommen können, gleichsam ihr Gefängnis ist? Ist es denn die Möglichkeit: Mit der Weitsicht einer internationalen Kommission mit multilateralen Kompetenzen im Dienste der Werte der Kunst Haltungen neu denken, neu erleben?
Die Botschafter hierfür – rund fünf dutzend Künstler*innen und ‑kollektive – sind Verfechter für ihren Teil der Welt aus dem sie kommen oder für den sie stehen.
Ihren Aktionsradius bringen sie vielfältig nach Kassel. Und es ist nicht alles Kunst, das da kommt: wenn man die in sich abgeschlossene konzeptuelle Kunst sucht und high-end Kunst erwartet.
Das Interdiszplinäre einerseits und sozioökonomische Zwangslagen andererseits führen Künstler zu Kollektiven zusammen. Meist finden sie sich lokal und regional, wachsen indes auch international und agieren auf ebensovielen Ebenen in multiplen Kunstkosmen basierend auf einem Manifest oder Werteverständnis. Je repressiver das System desto wichtiger wird das Kollektiv als geistiges und aktives Zuhause für freiheitliches Tun.
Diese Documenta wird so kein zweites Mal zu sehen sein: die Gesamtheit – Prozesse – ist immateriell, unverkäuflich. Nicht nur die Art Basel müsste Interesse haben das alternative Welt-Kunstausstellungskonzept zu übernehmen, um das Geschehen weiter unter den Augen ihrer Zielgruppe geschehen zu lassen. Im besten Fall in Partizipation dieser Kunstwelt-Gesellschaft, die die Documenta 15 angenommen hat – allem möglichen Unwohlsein gegenüber der Unkontrolliert und Fremdheit kollektivistisch nicht etablierten Tuns zum Trotz.
Kunst verträgt und verlangt mehr nicht-autoritäres Denken in von hierarchischer Ordnung durchdrungenen Systemen. Ob es Innovation ist, was die Documenta 15 ist? Die Sehnsucht weltweiten interdisziplinären Kunstschaffens war schon ein Leitgedanke des Blauen Reiter … Ist es mutig, was die Documenta 15 realisiert: Ja. Je mehr Kritik sie einstecken muss: Ja und ja. Ob es eine Kunstausstellung ist, was die Documenta 15 ist? Antworten sind in Kassel an 32 Ausstellungsorten vom 18. JUNI – 25. SEPTEMBER 2022 zu finden.
AAP widmet 15 Posts der documenta fifteen auf insta – mit freundlicher Genehmigung der doc15:www.instagram.com/archiveartistpublications/
Anrufen, anmelden, ansehen. Alle Asphalthefte im Onlinearchiv von AAP archiviert: Asphalt findet Ihr auf der Straße (in Hannover, Kassel u.a. Orten) oder hier: Documenta-Page: Künstler*innen und Glossar |
AAPs Kurzglossar:
lumbung. reisscheune. hard- und software. kollektive lokale ressourcen. im besten fall teilen. ruangrupa. künstlerische gemeinschaft. kunstraum in jakarta. 2000 gegründet. gemeinnützig. öko-sozial-ökonomisch-nachhaltig. interdisziplinär. ausstellungskooperationserfahren. im besten fall weiterwirken. ruru. privates haus offen für viele. wohnzimmer und küche, labor und atelier. zelle für den laut nach draußen. im besten fall nicht verfolgt aber gehört. nongkrong. beisammensein. miteinander abhängen. im besten fall sozial. majelis. zusammenkünfte. beziehung. kommunikation. im besten fall inspirierend und produktiv. |
G. Weitenauer aka Artner